kleines Schaf
© Kühn, 2001, V.2.1 Tammi's Traum
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Ein Märchen für Kinder, die nicht "sauber" werden wollen:

Tammi's Traum

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Tammi war 6 Jahre alt und wohnte am Rande einer kleinen Stadt. Hinter dem Haus begann ein großer Wald, in dem Tammi gerne herumstreifte. Jetzt gerade war er auch wieder dort unterwegs, aber er war ziemlich unglücklich. Plötzlich traf er ein Kind, das er noch nie gesehen hatte.

"Du siehst traurig aus", sagte das Kind. "Weißt Du was, wenn ich nicht weiter weiß, dann träum' ich immer ganz viel. Soll ich dir mal meinen Lieblingstraumplatz zeigen?"

Tammi nickte völlig überrascht. Das Kind brachte ihn zu einem großen, alten Baum mit weit ausladenden Ästen und zeigte Tammi eine Stelle oben im Baum, wo er sich bequem hinsetzen und anlehnen konnte.

"Schließ einfach die Augen und halte dein Gesicht Richtung Sonne," sagte das Kind, "siehst du die flimmernden Farben?" Tammi lehnte sich zurück und versuchte es einfach mal. Dieser Baum, auf dem er saß, war ganz besonders - eine Art Zauberbaum. Er hatte das Gefühl, den Saft darin strömen zu spüren und es war, als gäbe der Baum ihm etwas von seiner Kraft.

Tammi dachte an heute nachmittag. Alles war schief gelaufen und er hatte mal wieder in die Hose gemacht. Langsam verwischten diese Gedanken und Tammi begann tatsächlich zu träumen.

Im Traum stand Tammi seinem gemeinen Aa gegenüber, daß ihm das Leben so schwer machte. Es hatte sich hinter einem Stück Klopapier versteckt, es traute sich wohl nicht, ihm unter die Augen zu treten.

"Du gemeines, hinterlistiges Aa", sagte Tammi, "du machst mir soviel Ärger. Dauernd habe ich wegen dir Streit mit meinen Eltern. Manchmal darf ich irgendwohin nicht mit, weil du dich weigerst, aus mir herauszukommen. Oder du schleichst dich einfach raus in meine Hose. Dann stinke ich und jemand muß mir helfen, mich sauberzumachen. Die anderen finden mich dann total eklig. Dabei bin ich es ja gar nicht, der stinkt, sondern du stinkst in meiner Hose rum. Du olles, gemeines Aa, du kriegst es noch hin, daß mich keiner mehr mag!"

Jetzt war Tammi endlich mal den ganzen Ärger auf sein Aa losgeworden, das ihn nicht in Frieden ließ. Aber das Aa blieb auch nicht ruhig. Es guckte hinter dem Klopapier hervor und erwiderte:

"Ha! Du hast doch überhaupt keine Lust, auf mich zu achten. Du willst zwar keinen Ärger wegen mir, aber du willst dich auch nicht um mich kümmern! Oder kannst du es gar nicht? Bist du vielleicht noch zu klein? Haha, ich wette, ich bleibe noch lange stärker als du! Ich ärgere Dich, wann ich will!"

Tammis Mut verschwand. Er war schon wieder ganz durcheinander, dabei hatte er eben noch genau gewußt, was er wollte: Keinen Ärger mehr mit diesem gemeinen Aa.

Plötzlich hörte er noch ein neues Geräusch. Irgendwas in dem Zauberbaum raunte ihm in seinem Traum zu: "He, Tammi, überleg` mal! Fühlst Du Dich klein?"

"Manchmal", entgegnete Tammi verwirrt.

"Willst du denn noch klein sein?"

"Nein, eigentlich nicht", überlegte Tammi. "Ich kann auch schon echt viel und alle sagen, daß ich groß und stark bin!"

"Das ist doch toll! Und wie ist es denn, wenn du etwas unbedingt schaffen willst?" raunte es fragend aus dem Baum.

Tammi setzte sich gerade hin. "Dann schaffe ich es auch. Alle sagen, daß ich stark bin und einen starken Willen habe!"

"Glaubst du das denn selber auch?"

Tammi überlegte: "Meistens schon, nur manchmal fühle ich mich klein und blöd und schwach."

"Zum Beispiel, wenn du dir in die Hose machst?"

"Mmh." Tammi guckte nachdenklich und immer noch ein bißchen wütend zu dem Aa hinüber. Dieses machte sich jetzt etwas kleiner hinter dem Klopapier.

"Eigentlich wäre es ja gelacht, wenn Du nicht lernen könntest, über dein Aa zu bestimmen..., nur wenn du willst, natürlich." wisperte es in dem Baum.

Tammi nickte. Aber so ganz sicher war er sich noch nicht.

"Eigentlich schon," sagte er zögernd, "eigentlich kann ich es schon lernen, über dieses gemeine Aa zu bestimmen. Wenn ich es wirklich will."

Das Aa war jetzt fast ganz hinter dem Klopapier verschwunden. Es hatte das Gefühl, Tammi würde langsam stärker, als es selber.

"Was würde sich denn verändern, wenn du über dein Aa bestimmen könntest?" fragte es wispernd aus dem Baum.

Tammi dachte nach.

"Nicht mehr soviele Bauchschmerzen - wir müßten nirgends eher weg, weil sich das Aa in meine Hose geschlichen hat - keiner würde sagen, ich stinke - ich müßte mich nicht immer verstecken - Mama würde mich vielleicht wieder lieber in den Arm nehmen..."

Ihm fielen noch einige Sachen ein. "Aber ich müßte auch immer dann auf die Toilette gehen, wenn ich merke, daß das Aa kommt. Ich könnte nicht einfach weiterspielen. Ich müßte also auf es achten. Na ja, aber das wäre nicht so schlimm. Nein, eigentlich - eigentlich kann ich das."

Tammi blinzelte. Die Traumstimmen waren verschwunden, aber er fühlte sich plötzlich viel besser und ganz stark. Er umschlang den Baumstamm mit beiden Armen. Dann kletterte er hinunter. Das fremde Kind war verschwunden, aber da war doch noch ein ganz zartes Wispern:

"Behalte deinen Mut, Tammi, auch wenn dich das Aa nochmal überlistet. Du bist stark!"

Tammi lachte. Dann sprang er hoch in die Luft und rannte nach Hause.

(Hinweis für betroffene Eltern: Wenn sich die Gelegenheit ergibt, nehmen Sie sich die Zeit und lesen Sie diese Geschichte Ihrem Kind in einer ruhigen Minute vor. Es ist nicht unbedingt notwendig, hinterher darüber zu reden, es sei denn Ihr Kind möchte das! Seien Sie aufmerksam, wenn Ihr Kind von sich aus auf die Geschichte zu sprechen kommt! Für Ihr Kind ist es sehr wichtig, zu begreifen, dass es nicht selber das Problem ist, sondern das gemeine Aa! Und wenn es dann, das nächste Mal, doch wieder passiert ist, können Sie vielleicht beide zusammen überlegen, was Tammi jetzt wohl dazu sagen würde. Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, ein Ritual im Alltag zu erfinden, das es stark macht, die Auseinandersetzung mit dem gemeinen Aa zu gewinnen!)

© W. Düßmann-Kühn, 2000

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