kleines Schaf
© Kühn, 2001, V.2.1 Was habt ihr da über mich geredet?
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Was habt ihr da über mich geredet?

Randnotizen zur Hilfeplanung mit Kindern/Jugendlichen und ihren Familien

Nur mal angenommen... (KJHG § 1, Abs. 1&2)

...ein Kind, ein/e Jugendliche/r würde von seinem/ihrem Recht auf eine Erziehung zu einer selbständigen und -verantwortlichen Persönlichkeit Gebrauch machen.

...Eltern würden die Fürsorge und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht begreifen.

Eigentlich wären (teil-)stationäre Kinder-und Jugendhilfeeinrichtungen dann überflüssig, oder nicht? Leider ist die Wirklichkeit eine andere.

Die Ansprüche der Reform des KJHG, die eine neue Art des Denkens in der Kinder- und Jugendhilfe umsetzen wollten, sind in der Praxis bis heute, nach Jahren, nur ansatzweise spür- und erlebbar. Nur ein Bruchteil der Kinder und Jugendlichen empfindet sich im wahrsten Sinne des Wortes als "recht-haberisch", nur wenige Eltern kämpfen bei familieninternen, sozialen oder sozial-politisch bedingten Problemen in den alltäglichen Überlebenskämpfen um ihr Recht, auch auf Hilfen zur Erziehung.

Die eigentlichen Recht-Haber (die Kinder und ihre Familien) nehmen sich im Prozess der Hilfeplanung (KJHG § 36) zumeist als Opfer wahr. Nur ein Teil der Maßnahmen in den Hilfen zur Erziehung kommt auf Initiative der betroffenen Familien zustande. Häufig sind die Familien in ihrem sozialen Netzwerk auffällig geworden, sie werden von Außenstehenden mit den intrafamiliären Mißständen konfrontiert und reagieren erwartungsgemäß selten mit Zustimmung und Einverständnis, sondern mit Abwehr, scheinbarer Anpassung und anderen Vermeidungsstrategien. So manche Hilfe zur Erziehung kommt nur durch öffentlichen Druck zustande.

Der Dichter Bert Brecht hat einmal den Begriff der Hilfe in direkten Kontext mit dem Begriff der Gewalt gebracht (B. Brecht "Badener Lehrstück vom Einverständnis", 1967, Bd. 2, S. 599):

"Um Hilfe zu verweigern, ist Gewalt nötig.
Um Hilfe zu erlangen, ist auch Gewalt nötig.
Solange Gewalt herrscht, kann Hilfe verweigert werden.
Wenn keine Gewalt mehr herrscht, ist keine Hilfe mehr nötig.
Also sollt ihr nicht Hilfe verlangen, sondern die Gewalt abschaffen."

Es täte uns gut, uns immer wieder dieser unliebsamen Kritik auszusetzen und unser Handeln daran zu reflektieren. Auf Seiten der Jugendämter muss eine Trennung von Kontroll- und Beratungsfunktion diskutiert werden, der Spagat zwischen Angebot und Sanktion, oft in Personalunion, behindert optimale Hilfeplanung. Den Supermarkt der Hilfen, in dem sich betroffene Familien selbstbestimmt bewegen und das zu ihnen passende Angebot auswählen, gibt es leider nicht. In den Augen der Betroffenen ist es leider immer noch so, dass das zuständige Jugendamt ein Urteil fällt, und die angesprochene Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung setzt das Urteil über die Zukunft der betroffenen Familie in die Tat um. Perspektive ungewiss, Einflussmöglichkeit der Betroffenen gleich 0%? Der Hilfeplan, nichts weiter als ein Herrschaftsinstrument der öffentlichen Hand?

Das eigentliche Zeitalter der Aufklärung der Betroffenen scheint erst zu dämmern. Die wenigsten Familien gehen selbstbewusst mit den Möglichkeiten und Angeboten des KJHG's, im Sinne eines Kundendienstes, um. Wenn ich überdenke, wieviel Zeit und Energie für die Überwindung von Widerständen, Skepsis, aber auch für das Negieren von Komplizenschaft mit der Obrigkeit (Jugendamt) und für das Buhlen um Kooperationsbereitschaft aufgewandt wird, dann überkommt mich unweigerlich das Gefühl, dass wir noch einen gehörigen Teil des Weges vor uns haben, um den Ansprüchen des Gesetzes zu genügen.

Da sitzen dann die Sprach- und die Hilflosigkeit mit am Tisch, machen sich breit, Kind und Familie verschwinden hinter ihren breiten Rücken. Dies scheint mir für viele Familien zu gelten, die ich in den letzten Jahren meiner Arbeit kennengelernt habe. Hilfeplanung muss dementsprechend heißen, eine Gesprächsplattform für alle Beteiligten anzubieten, die vom Ergebnis offen ist, die Angebote zur Selbst-Mitteilung macht, die Grenzen, aber erst recht Möglichkeiten einer weiteren Entwicklung deutlich macht. Inwiefern befähigen wir durch unsere alltägliche Arbeit, Kinder, Jugendliche und ihre Herkunftsfamilien diese Sprachlosigkeit zu überwinden? Wieviel Raum bekommen die Betroffenen, ihre Bedarfe, Wünsche und Lösungsmöglichkeiten zur Überwindung ihrer Probleme und Konflikte, zu artikulieren?

Ist in diesem Sinne Hilfeplanung nicht primär eine Kommunikationsplanung, die notwendige Gestaltung eines Aushandlungsprozesses zwischen betroffenen Laien und beteiligten ExpertInnen? Wie bereit sind wir, uns auf diesen Dialog einzulassen? Welche Position nehmen wir in diesem Dialog ein? Nebensächlich? - Entscheidend, meine ich...

Die Konflikte mit den oben genannten Ansprüchen sind be- und erkannt. Ist da ein Spalt in der Tür? Schauen wir mal...

...hier geht's weiter: Seite 2!

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